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Pressemitteilungen der Ministerien

Redebeitrag von Innenminister Dr. Manfred Püchel zu den Anträgen der Fraktion der CDU und der FDVP zu "Zwangsausgesiedelten"

23.06.2000, Magdeburg – 81

  • Ministerium für Inneres und Sport

 

 

 

Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 081/00

 

Magdeburg, den 23. Juni 2000

 

 

Redebeitrag von Innenminister Dr. Manfred Püchel zu den Anträgen der Fraktion der CDU und der FDVP zu "Zwangsausgesiedelten"

Es gilt das gesprochene Wort!

 

 

Es ist gut, wenn wir, zehn Jahre nach der Wende, bei den Debatten über Zukunftsfragen unseres Landes von Zeit zu Zeit innehalten und den Blick zurück auf die Opfer des SED-Regimes richten. Die Opfer haben bei allen Alltagssorgen einen Anspruch darauf, dass sie und ihre Probleme nicht vergessen werden!

Natürlich müssen wir uns auch immer wieder fragen, ob wir bisher genug für sie getan haben? Ob die Regelungen, die für sie getroffen worden sind, auch greifen? Ob wir uns genug dafür eingesetzt haben, dass unsere Rechtsordnung ihnen zumindest einen kleinen Ausgleich für ihr Schicksal zukommen lässt?

Die vorliegenden Anträge geben uns Gelegenheit, erneut in die Debatte einzutreten, wie wir Menschen helfen können, die in besonderem Maße unter der SED-Herrschaft gelitten haben.

Worum geht es? Wie von den Einbringern bereits ausführlich dargestellt, kam es in den Jahren 1952 und 1961 im Grenzgebiet der DDR zur Bundesrepublik zu zwei groß angelegten Aktionen. Jeweils in den frühen Morgenstunden wurden die Wohnhäuser politisch missliebiger Bürger von Polizei, Staatssicherheit und Kampfgruppen umstellt. Die Betroffenen wurden aus den Wohnungen geholt, mit dem notwendigsten Hab und Gut auf LKWs oder auf dem nächstgelegenen Bahnhof in Viehwaggons verfrachtet und aus der Grenzregion weggebracht.

Ihren Bestimmungsort im Innern der DDR erfuhren sie in der Regel erst während der Fahrt. Am neuen Wohnort wurden sie oft unter primitivsten Umständen untergebracht, manchmal in verlassenen oder verwahrlosten Gebäuden. Den Deportierten war die Rückkehr in das Grenzgebiet verboten. Grund und Boden wurden ihnen weggenommen.

Infolge der verleumderischen Begründungen für die Ausweisungen durch die Behörden waren die Menschen an ihrem neuen Wohnort oft als Quasi-Kriminelle stigmatisiert. Mit anderen Worten: Wenn wir über die Zwangsausgesiedelten reden, dann reden wir über Menschen, denen bitterstes Unrecht geschehen ist, Unrecht, das zum Teil über Jahrzehnte angedauert hat!

Bei der Entschädigung für diese Menschen handelt es sich um ein sehr sensibles Thema. Zum einen weil die Gruppe der Zwangsausgesiedelten unter der SED-Diktatur in besonderer Form gelitten hat. Zum anderen weil wir diese Frage nicht losgelöst von anderen Opfergruppen diskutieren können.

Ich sage es ganz offen: Ich habe die größten Zweifel, ob die Anträge diesen Anforderungen gerecht werden und ob vor allem die geforderten Einzelmaßnahmen mit dem Gesamtgefüge vergleichbarer Regelungen in Einklang stehen. Wenn ich einer einzelnen Gruppe eine Vergünstigung gewähre, muss ich mir die Frage stellen, ob ich dadurch nicht neue Ungerechtigkeiten schaffe. Weil nämlich eine andere Gruppe genauso betroffen ist und ich dieser anderen Gruppe diese Vergünstigung nicht gewähre.

Der Gleichheitsgrundsatz der Verfassung gibt uns auf, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Sicherlich begehe ich einen Fehler, wenn ich eine offensichtliche Ungerechtigkeit feststelle und nichts unternehme, um sie zu beseitigen. Ich begehe aber auch einen Fehler, wenn ich einer einzelnen Gruppe etwas Gutes zukommen lasse und sie damit anderen Gruppen gegenüber bevorzuge, die eine ähnliche oder noch schlimmere Benachteiligung geltend machen können.

Wenn ich diesen Gedanken auf die SED-Opfer übertrage, so heißt das: Ich darf nicht nur eine Verfolgtengruppe wie die Zwangsausgesiedelten für sich betrachten. Ich muss vielmehr diese eine Verfolgtengruppe im Zusammenhang sehen mit anderen Verfolgtengruppen.

Zum Beispiel mit Menschen, die jahrelang aus politischen Gründen im Zuchthaus gesessen haben. Oder mit Personen, die ihre Berufsausbildung aus politischen Gründen nicht beenden durften, die viele Jahre in einer untergeordneten Position tätig waren und deshalb heute nur eine kleine Rente bekommen. Und wahrscheinlich muss ich den Kreis noch weiterziehen und auch die Menschen in die Betrachtung einbeziehen, die vom Krieg und seinen Folgen betroffen sind.

Denken wir doch einmal an die Frauen aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße, die beim Einmarsch der Roten Armee brutal vergewaltigt und für Jahre in die Sowjetunion verschleppt wurden und denen, wenn sie danach in die DDR kamen, fast überhaupt keine Ansprüche zustehen!

Denken wir an die Kriegsgefangenen, die manchmal jahrelang in Workuta schuften mussten und nach ihrer Rückkehr in die DDR niemals einen Pfennig erhalten haben! Und denken wir an die Vertriebenen aus Schlesien oder dem Sudetenland: Sie haben ihr Vermögen und ihre Heimat verloren. Als einzigen Ausgleich haben sie gerade einmal 4 000 DM bekommen!

Kann man da so einfach sagen: Jeder Zwangsausgesiedelte bekommt zusätzlich zur Rückgabe seines Hauses und Grundstücks noch einen Pauschalbetrag von vielleicht 4 000 DM?

Müsste dann nicht auch der zu Unrecht in der DDR Inhaftierte pauschal 4000 DM zusätzliche Entschädigung bekommen ?

Müsste dann nicht auch die vergewaltigte und verschleppte Frau 4 000 DM bekommen?

Müsste dann nicht auch der Kriegsgefangene 4 000 DM bekommen? Müsste dann nicht jeder Vertriebene 4 000 DM zusätzlich bekommen? Denn die Vertriebenenzuwendung soll den Verlust der Heimat und des gesamten, oft beträchtlichen Vermögens abdecken.

Die Zwangsausgesiedelten dagegen können jedenfalls seit 1990 wieder an ihren ursprünglichen Wohnort zurückkehren. Und was ihr Vermögen betrifft, so haben sie die privilegierteste Position, die unsere Rechtsordnung SED-Opfern überhaupt einräumt: Ihre Ansprüche richten sich, nach erfolgter Rehabilitierung entsprechend dem verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz, nach dem Vermögensgesetz, das heißt: Rückgabe vor Entschädigung.Dies bedeutet, dass der Alteigentümer, also auch der Zwangsausgesiedelte, grundsätzlich sein Grundstück zurückerhält und sich nicht mit einer Entschädigung begnügen muss.

Dieser Grundsatz war äußerst umstritten. Viele meinten, dem Alteigentümer sei damit eine viel zu starke Stellung eingeräumt worden. Kaum einem anderen unter den politisch Verfolgten hat die Rechtsordnung eine derart starke Rechtsposition zugewiesen wie den Rückgabeberechtigten nach dem Vermögensgesetz!

Genau dies müssen wir aber bedenken, wenn wir die Ansprüche der Zwangsausgesiedelten bewerten! Denn die Zwangsausgesiedelten gehören genau zu dieser herausgehobenen Gruppe von Verfolgten mit einem Rückgabeanspruch, anders als z. B. die von 1945 bis 1949 Enteigneten. Sie stehen gewissermaßen an der Spitze der Berechtigten, wenn man ihre Rechte mit denen anderer Verfolgter vergleicht. Es kann also keine Rede davon sein, dass der Gesetzgeber das besondere Schicksal der Zwangsausgesiedelten nicht anerkannt hätte. Das Gegenteil ist der Fall!

Wie sieht es nun bei uns im Lande konkret aus? Von den bis Ende April diesen Jahres bei den Rehabilitierungsbehörden eingegangenen 583 Anträgen von Zwangsausgesiedelten sind bereits 405 positiv beschieden worden.

Für die heutige Landtagssitzung habe ich bei den zuständigen ämtern zur Regelung offener Vermögensfragen eine Blitzumfrage durchführen lassen. Sie ergab, dass erst 154 Zwangsausgesiedelte Rückübertragungsanträge nach dem Vermögensgesetz gestellt haben. Davon wurden bereits zwischen 60% und 100% der Grundstücke zurückübertragen oder eine Entschädigung bewilligt. Die Betroffenen sind also rehabilitiert worden und haben ihre Grundstücke zurückerhalten bzw. eine Entschädigung bekommen. Ihnen ist es damit viel besser ergangen als vielen anderen Opfern. Was rechtfertigt es, sie im Vergleich zu den anderen Gruppen noch einmal zu entschädigen?

Anrede,

aber auch wenn ich all das beiseite lasse, frage ich mich:

Ist der Landtag überhaupt das richtige Forum für diese Debatte?

Ist die Frage der Entschädigung Zwangsausgesiedelter nicht allein eine Angelegenheit des Bundes, die dieser einheitlich für alle Betroffenen hätte regeln müssen und nicht jedes Land für sich?

Herr Kollege,

die CDU hat doch seit der Wende bis zum Herbst 1998 im Bund regiert. Die gesamte Gesetzgebung zum Vermögensgesetz und zum SED-Rehabilitierungsrecht ist von Ihren Parteifreunden im Bund in der heute noch geltenden Form durchgesetzt worden.

Wieso haben Sie das Regelungsdefizit, das Sie jetzt sehen, all die Jahre nicht gesehen? Wieso hat Ihre Partei sogar 1999 noch nichts unternommen? Ihre Parteifreunde im Bund hatten auch noch die Gelegenheit gehabt, Vorschläge zu den Zwangsausgesiedelten einzubringen, als Staatsminister Schwanitz im letzten Jahr dafür sorgte, dass einige Defizite in der Rehabilitierungs-Gesetzgebung beseitigt wurden.

Ich darf noch ein Weiteres hinzufügen.

Ich habe meine ganz erheblichen Zweifel ob der Vorschlag mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Der Bund hat die Ansprüche der Zwangsausgesiedelten umfassend geregelt. Er hat von seiner Gesetzgebungskompetenz vollständig Gebrauch gemacht. Auf deutsch: Der Bund hat alles geregelt; die Länder dürfen gar nichts mehr regeln.

Sogar Thüringen hat sich deshalb nicht gewagt, ein Landesgesetz zugunsten der Zwangsausgesiedelten zu verabschieden ¿ es wollte nicht gegen das Grundgesetz verstoßen. Aber ist die Thüringer Lösung einer privatrechtlichen Stiftung nicht nur ein Trick, mit dem die für das Land bestehende Regelungssperre umgangen werden soll?

Sie fordern nun auch eine vergleichbare bzw. sogar identische Lösung für Sachsen-Anhalt. Im Grunde müsste man dann erst einmal die Frage stellen, ob das Stiftungsrecht solch eine Lösung überhaupt zulässt. Vor der stiftungsrechtlichen Frage steht jedoch erst einmal die politische. Und das Ergebnis ist für uns, wie ausgeführt, eindeutig.

Ich fasse zusammen. Die Landesregierung nimmt das Schicksal der Zwangsausgesiedelten und die Frage ihrer gerechten Entschädigung sehr ernst. Aber wir tun diesen Menschen keinen Gefallen, wenn wir ihnen ungerechtfertigte Hoffnungen machen.

Die zentralen Fragen bleiben:

Ist erstens eine Zusatzleistung für die Zwangsausgesiedelten gerecht, oder werden andere Verfolgtengruppen dadurch unangemessen benachteiligt? Und dürfen wir zweitens als Land eine solche Regelung überhaupt treffen?

Beide Fragen können wir guten Gewissens nicht mit ja beantworten. Dementsprechend sind die Anträge abzulehnen.

 

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