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Pressemitteilungen der Ministerien

Regierungserklärung von Ministerpräsident
Prof. Dr. Wolfgang Böhmer
?Reformen braucht das Land?

13.03.2003, Magdeburg – 122

  • Staatskanzlei und Ministerium für Kultur

 

 

 

 

 

 

 

 

Staatskanzlei - Pressemitteilung Nr.: 122/03

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Staatskanzlei - Pressemitteilung

Nr.: 122/03

 

 

 

Magdeburg, den 13. März 2003

 

 

 

Regierungserklärung von Ministerpräsident

Prof. Dr. Wolfgang Böhmer

¿Reformen braucht das Land¿

 

 

 

Es gilt das gesprochene Wort!

 

 

 

(Anrede)

 

Wir wissen uns einig in dem Ziel, den

Menschen in unserem Land wieder eine Perspektive zu geben. Dies ist auch das

erste und wichtigste Ziel der Landesregierung. Dazu gehört, alles zu tun um im

eigenen Land Arbeitsplätze zu schaffen. Wir wollen, dass jeder in

Eigenverantwortung über sein Schicksal bestimmen soll und wissen, dass dies nur

dann geht, wenn er sich durch eigene Arbeit die materiellen Grundlagen dazu

selbst erarbeiten kann.

 

Dabei waren wir bisher weniger erfolgreich

als wir es erhofft hatten. Wer Arbeitsplätze schaffen will muss Arbeitgeber

ansiedeln, Investitionen rechtlich begünstigen und für die vorhandenen

Arbeitgeber für Arbeit und für Umsatz sorgen. Diesem Ziel haben wir viele

andere nachgeordnet, dafür sind wir auch kritisiert worden. Diese Entwicklung

hat kleine Erfolge gebracht, aber noch keine bessere Bilanz der Arbeitsplätze.

Noch schwimmen wir gegen einen Strom, der stärker ist als wir.

 

Sachsen-Anhalt ist kein abgeschlossenes

Wirtschaftsgebiet. Wir sind ein kleiner Teil des Wirtschaftsraumes Deutschland,

dessen Regeln auch für uns gelten.

 

Das Bruttoinlandprodukt Sachsen-Anhalts ist

im vergangenen Jahr real um 0,5 % gewachsen, das

der neuen Bundesländer ohne Berlin um 0,1 %, das der Bundesrepublik insgesamt

um 0,2 %. Die neuen Bundesländer entwickeln sich wieder langsamer als die

alten. Unsere besseren Wirtschaftsdaten sind durch ein Wachstum von 7,3 % im

verarbeitenden Gewerbe und von 8,4 % in der Ernährungsgüterwirtschaft bedingt

und werden neutralisiert durch erhebliche Rückgänge in der Bauwirtschaft und

auch im Dienstleistungsbereich. Die Arbeitslosenquote ist auf 21,7 % im Februar

d.J. gestiegen; bundesweit sind über 4,7 Mio. Menschen arbeitslos gemeldet. Die

tatsächliche Zahl soll erheblich größer sein. Im Januar dieses Jahres befanden

sich bei uns 11.720 geförderte Arbeitnehmer in SAM und 13008 geförderte Arbeitnehmer

in ABM. Im Fort- und Weiterbildungsbereich wurden 22.714 Teilnehmer gefördert.

Wenn jetzt die Finanzmittel dafür erheblich gekürzt werden sollten kann sich

jeder ausrechnen, was das bedeutet. Trotz angestrengter Investitionsbemühungen

geht die Zahl der Erwerbstätigen in den neuen Bundesländern jährlich um 1-2 % zurück;

in Sachsen-Anhalt am stärksten. In den Bereich der Chemischen Industrie wurden

von 1991 bis 2001 insgesamt 7,6 Milliarden ¿ investiert. Der Umsatz ist allein

von 2001 bis 2002 um mehr als 6 % gestiegen, die Zahl der Arbeitsplätze kaum

noch. Was wir auch tun und wie viel wir uns auch gegenseitig zumuten, um eine

bessere wirtschaftliche Entwicklung zu erreichen, gegen einen bundesweiten

Trend werden wir es nicht schaffen.

 

Deshalb brauchen wir eine andere Politik in

Deutschland. Der deutsche Aktienmarkt hat in 2002 ca. 40 % seiner

Werthaltigkeit verloren. Im ersten Quartal 2003 zusätzlich noch einmal 21 %,

der übrige europäische Markt nur 15,6 %, der US-amerikanische 9,4 %. Einige

große deutsche Gesellschaften haben einen Aktienwert teilweise unterhalb des

Buchwertes und werden damit disponibel. Deutschland gilt für viele nicht mehr

als werthaltiger Wirtschaftsstandort. Gegen diesen Trend können wir in einem

kleinen neuen Bundesland mit knapp 3 % aller Einwohner Deutschlands keinen

grundlegenden wirtschaftlichen Aufschwung organisieren und keine nennenswerte

Zahl neuer Arbeitsplätze schaffen.

 

Wir brauchen grundlegende Reformen der

wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Wir müssen die Lohnstückkosten und damit

unsere wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit entlasten von den zusätzlichen

Lasten unserer sozialen Sicherungssysteme. Die großen sozialen

Sicherungssysteme, auf die wir im internationalen Vergleich über einhundert

Jahre stolz sein konnten, wurden gegen Ende des 19. Jahrhunderts bei einer

völlig anderen demografischen Bevölkerungsschichtung als kapitalgedeckte

Versicherungskassen gegründet. Nach der Inflation Anfang der 20-er Jahre des

vorigen Jahrhunderts wurden daraus umlagefinanzierte Versicherungskassen. Die

Sozialgerichte erweiterten kontinuierlich die Leistungspflicht. Ein völlig

geändertes generatives Verhalten hat die Bevölkerungsstrukturen umgeschichtet.

Der Arbeitsmarkt ist durch die Automatisierungstechnologien völlig verändert

worden. Hohe Arbeitslosigkeit führt zu Einnahmeverlusten bei den Versicherungskassen

und im Steuersystem. Durch zusätzliche Lasten für die Rentenversicherung soll

der Arbeitsmarkt entlastet werden. Die gesetzliche Krankenversicherung

finanziert staatlich gewollte Sozialleistungen. In der Wirtschaft werden Investoren

als Anreiz zur Schaffung von Arbeitsplätzen mit Einnahmen aus der Lohnsteuer

von Arbeitnehmern gefördert. Damit soll der Nachteil ausgeglichen werden

gegenüber Investitionsstandorten mit niedrigeren Tarifen oder besserer

Infrastruktur. Keines der Systeme funktioniert mehr durch Eigenregulation und

bedarf der staatlichen Stützung aus dem Steuersystem. Das ist eine Belastung

für den Wirtschaftsstandort im internationalen Vergleich und auch auf

nationaler Ebene, weil die Wirtschaftskraft der neuen Länder unter diesen

Bedingungen nicht gegen den Trend aufgebaut werden kann. Ein Handwerker muss

selbst 3-4 Stunden arbeiten, um sich eine Stunde Arbeitszeit eines anderen

Handwerkers leisten zu können. Das einzige was dadurch wächst ist die

Schwarzarbeit. Eine Deregulierung des Arbeitsmarktes ist sicher keine Garantie

für eine Belebung der Wirtschaft, aber eine notwendige Voraussetzung.

 

Alle politischen Parteien sehen den riesigen

Reformbedarf auf Bundesebene. Von keiner gibt es bisher ein überzeugendes

Lösungskonzept. Gemeinsam sind wir verpflichtet, danach zu suchen und dafür

Mehrheiten zu finden. Natürlich ist die jeweilige Regierung verpflichtet, Vorschläge

vorzulegen. Dass unterschiedliche politische Parteien in einer Demokratie sich

über den besten Lösungsweg streiten, ist auch für uns inzwischen normal.

Wichtiger als jede Parteipolemik ist eine breite Überzeugung in der

Bevölkerung, dass es ohne grundlegende Reformen nicht weitergehen kann. Weder

auf der Ebene der Bundespolitik noch bei uns in Sachsen-Anhalt werden wir zu

notwendigen Reformen fähig sein, wenn jeder nur über Veränderungen bei anderen

nachzudenken bereit ist, ohne auch für den eigenen Verantwortungsbereich Alternativen

zuzulassen.

 

In der letzten Zeit wird eine gegenüber dem

Bundestag andere parteipolitische Mehrheit im Bundesrat als Reformhindernis in

Deutschland angesehen. Das ist schlicht falsch. Der Kompromiss bei den sog.

Hartz-Gesetzen zum Arbeitsmarkt beweist, dass es nicht so sein muss, wenn man

aufeinander zuzugehen bereit ist. Während der letzten Wahlperiode des

Bundestages haben von den Gesetzes-Initiativen der Bundesregierung 91 %

Gesetzeskraft erlangt, von den Gesetzes-Initiativen des Bundestages waren es

sogar 99 %. Dagegen sind von den Gesetzes-Initiativen des Bundesrates lediglich

23 % vom Bundestag beschlossen worden. Wenigstens diese statistische Erfolgswahrscheinlichkeit

von Bundesratsinitiativen sollte auch der Landtag kennen. Ein Problem ist die

zunehmende konkurrierende Gesetzgebung des Bundes, wodurch unnötig viele

Initiativen der Bundesregierung zustimmungspflichtig werden. Das

Verfassungsgebot gleichwertiger Lebensverhältnisse verlangt keinen staatlichen

Zentralismus und lässt unterschiedliche Regelungen in den Ländern zu. Nicht

sinnvoll erscheint mir der Vorschlag, ein Problem bundeseinheitlich zu regeln

und danach Länderkompetenz als Modellregion zulassen zu wollen. Wenn eine zur

Erprobung angebotene Möglichkeit nicht überzeugt, wird es niemand tun und wenn

sie überzeugend ist, werden es alle tun wollen und dann notfalls beim

Verfassungsgericht einklagen. Trotzdem haben wir uns als eine solche Region

angeboten, weil wir zusätzliche Freiräume brauchen. In jedem Fall käme dann

auch auf den Landtag eine größere Verantwortung zu, weil ausgesetzte

Bundeskompetenz dann durch den Landesgesetzgeber ausgefüllt werden müsste. Eine

Föderalismuskonferenz zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung

erarbeitet gegenwärtig Vorschläge dafür. Ein wichtiges Problem wird eine Reform

der Mischfinanzierungstatbestände sein, die entflochten werden sollen. In

Sachsen-Anhalt werden durch diese Mischfinanzierungen ca. 42 % aller

Investitionen festgelegt. Bis Ende dieses Jahres sollen dazu Reformen

erarbeitet werden. Bei manchen Mischfinanzierungen würden schon kleinste

Definitionsänderungen für uns größere Entscheidungsfreiheit bedeuten. Mit den

Finanzmitteln für Gemeinschaftsaufgaben nach Artikel 104 GG können Wirtschaftsbetriebe

und wirtschaftsnahe Strukturen gefördert werden. Die Sanierung einer

Berufsschule ist damit möglich, nicht aber Reparaturen in einer Sekundarschule.

Ein Konsens darüber, dass diese auch zur Entwicklung eines Wirtschaftsstandortes

gehören, würde uns viel helfen. In der Diskussion ist die Länderkompetenz für

die ausschließlichen Ländersteuern. Zunächst hat das dazu geführt, dass der

Vorschlag leistungsfeindlicher Neidsteuern wenigstens von den

Verantwortungsträgern nicht weiter verfolgt wird. Das würde zwangsläufig auch

zu einer Reform des innerdeutschen Finanzausgleichsystems führen müssen. Eine

Steuerreform ist sicher notwendig. Bei den gegenwärtig großen Unterschieden der

Steuerkraft einzelner Länder müssen wir sehr warnen vor dem Begriff eines Wettbewerbsföderalismus,

solange nicht Chancengleichheit beim Start organisierbar ist.

 

Überzeugender scheint mir ein anderer Weg.

Innerhalb der Europäischen Union ist es längst üblich, für bestimmte Regionen

in Abhängigkeit von der regionalen Wirtschaftskraft abweichende gesetzliche

Vorschriften zuzulassen. Auch innerhalb Deutschlands würde das nicht dem

Grundgesetz widersprechen. Wir erwarten keine gesetzlichen Sonderregelungen für

die neuen Bundesländer. Wir halten aber bundesweit geltende Gesetze für möglich

mit Sondervorschriften für Regionen mit besonders hoher Arbeitslosigkeit oder

besonders niedrigem Bruttoinlandprodukt pro Einwohner. Als ersten Versuch

dieser Art wird die Sächsische Staatsregierung morgen einen Gesetzentwurf in

den Bundesrat einbringen, der eine solche Regelung enthält. In einem Entwurf

für ein Arbeitsmarkthemmnisseabbaugesetz wird vorgeschlagen, dass eine Reihe

von arbeitsrechtlichen Vorschriften in den Ländern ausgesetzt oder modifiziert

werden sollen, deren Arbeitslosigkeit an einem Stichtag 50 % höher ist als der

Bundesdurchschnitt. Wir werden dem Entwurf nicht beitreten, weil er auch

Vorschläge enthält, denen ich mich in der vorläufigen Fassung nicht anschließen

könnte. Wir sind aber sehr gespannt darauf wie der Bundestag auf den Vorschlag

zur Regionalisierung von Rechtsnormen eingehen wird. Hier sehen wir

Reformmöglichkeiten einfach durch die Übernahme europäischer Verwaltungspraktiken.

 

Bevor wir uns jenen Reformen zuwenden, für

die wir in unserem Land zuständig und verantwortlich sind, ist es hilfreich,

noch auf notwendige Reformen innerhalb der EU hinzuweisen. Zurzeit bereitet ein

europäischer Konvent eine europäische Verfassung vor.

 

Nur 74 Regionen in 8 von 15 Mitgliedsstaaten

der europäischen Union haben Selbstvertretungskörperschaften mit Gesetzgebungskompetenz.

Deren Einordnung in die legislativen und exekutiven Hierarchien der

europäischen Union ist noch nicht ausdiskutiert. Viele Staaten bereiten

Reformen vor und orientieren sich dabei an den Strukturen der Bundesrepublik.

Wir unsererseits drängen auf Reformen der Förderpolitik. Allein durch die Veränderung

des 75 %-Bruttoinlandprodukt-Grenzwertes fallen zukünftig 18 Regionen aus den

Förderregionen I-Konditionen, ohne dass sich ihre Wirtschaftskraft verbessert

hat. Wir suchen jetzt gemeinsam nach Reformen zur Neutralisierung des

statistischen Kohäsionseffektes. Von den 21 Mio. davon betroffenen EU-Bürgern

leben mehr als die Hälfte in den neuen Bundesländern Deutschlands. Für unsere

weitere Entwicklung werden diese Reformen von großer Bedeutung sein. Das ist

der Hintergrund, vor dem wir die Reformen in unserem Land organisieren müssen.

Das sicher geringer werdende Fördervolumen aus der EU und der degressive

Zuschuss aus dem Solidarpakt müssen durch steigende eigene Steuereinnahmen

kompensiert werden, wenn wir das gegenwärtige Ausgabenvolumen wenigsten gleich

hoch halten wollen. Dazu sind noch viele Veränderungen notwendig.

 

Dabei dürfen Reformen der Selbstverwaltung

niemals zum Selbstzweck werden. Sie sollen helfen unser Hauptziel zu erreichen,

nämlich die Wirtschaftskraft zu verbessern und Arbeitsplätze im Bereich der

Wertschöpfung zu schaffen. Deshalb gilt der Grundsatz: so viel Reform wie

nötig, aber so wenig Durcheinander wie möglich. Unser wichtigstes Reformziel in

dieser Legislaturperiode muss eine Verwaltungsreform sein, mit dem Ziel,

effizienter und transparenter Verwaltungsstrukturen unter Berücksichtigung der

unterschiedlichen Wirtschaftskraft der Regionen innerhalb unseres Landes.

 

Der Landtag hat dazu in früheren

Legislaturperioden schon eine Reihe von Beschlüssen gefasst. Sie werden uns

Orientierung sein, ohne dass wir uns daran kritiklos binden. Im Januar 2002

wurde ein Grundsatzbeschluss zur Kommunalisierung von Verwaltungsaufgaben

gefasst. Bereits damals habe ich in der Diskussion darauf hingewiesen, dass wir

nicht zuerst heroische Beschlüsse fassen sollten und danach erst ausrechnen,

was es uns kostet und was effektiver sein würde. Mir ist damals entgegen

gehalten worden, dass Bürgernähe ein Wert an sich sei und dass das natürlich auch

etwas kosten wird. Die finanzielle Situation der Kommunen und des Landes verbieten

uns Reformschritte, die zu noch höheren Kosten führen könnten. Wir werden deshalb

erst rechnen und dann neu entscheiden.

 

Nach Meinung des Städte- und Gemeindebundes

hätte jede Aufgabenverlagerung seit 1995 die kommunalen Defizite ständig weiter

erhöht.

 

Die Finanzsituation der Kommunen ist

grundsätzlich reformbedürftig. Auf Bundesebene wird eine dazu eingesetzte

Kommission noch in diesem Jahr Vorschläge dazu erarbeiten. Immer wieder

vorgeschlagen wird eine Zusammenführung der Sozialhilfe und der

Arbeitslosenhilfe. Das mag richtig sein. Bisher diskutiert wird, diese

gemeinsame Leistung dann für Arbeitsfähige von der Arbeitsverwaltung und für

nicht mehr Arbeitsfähige von der Kommune auszuzahlen. Bei der hohen

Arbeitslosigkeit, den schlechten Vermittlungschancen und der Altersstruktur der

Betroffenen wäre das für unsere Kommunen mit ihrem weit unterdurchschnittlichen

Gewerbesteueraufkommen eine völlig inakzeptable Lösung. Hier müssen wir

Vertreter der neuen Bundesländer darauf achten, dass nicht die Proportionen der

alten Bundesländer zum Entscheidungsmaßstab werden. Noch bevor die

Rahmengesetze des Bundes feststehen werden wir innerhalb des Landes unsere

Beteiligungsquoten neu festlegen. So weit wie möglich und an der Einwohnerzahl

orientiert verteilungsgerecht sollen einzelne Fördertitel in den allgemeinen

Finanzausgleich umgesetzt werden. Das wird weniger sein als die

Kommunalvertreter wünschen, aber sicher mehr als bisher. Ich habe Verständnis

für den Wunsch der kommunalen Spitzenverbände nach einer verlässlichen Verbundquote

und stabilen Strukturen. Nur vor diesem Hintergrund wird es Konsens auch für

die Kommunalisierung von Verwaltungsfunktionen geben können. Die Umsetzungsprobleme

sind noch nicht alle geklärt und bleiben eine Aufgabe der Exekutive. Das alles

wird länger dauern als ich erhofft und vermutet hatte.

 

Ein noch kontrovers diskutiertes Thema sind

Probleme der Aufgabenzuordnung im Rahmen einer interkommunalen Verwaltungsreform.

Die Meinungsbreite ist groß. Auch hier sollten wir zuerst rechnen und dann

entscheiden. Für die Trägerschaft bestimmter kommunaler Aufgaben ist eine

Mindesteinwohnerzahl unerlässlich. Sowohl das Verlagern von Zuständigkeiten als

auch das Ändern von Strukturen muss möglich sein. Am Ende müssen Strukturen

stehen, die eine möglichst effiziente Verwaltungsorganisation auch auf kommunaler

Ebene ermöglichen. Selbst bei großem Respekt vor gemeindlicher Selbstverwaltung

wäre es wirtschaftlich nicht vertretbar, auf der kommunalen Ebene parallele

Verwaltungsstrukturen vorzuhalten, die sich die zu erfüllenden Aufgaben teilen.

In der Praxis hat es sich bewährt, für einige Aufgaben des eigenen

Wirkungskreises eine koordinierte Aufgabenwahrnehmung aller Mitgliedsgemeinden

in der Verwaltungsgemeinschaft zu organisieren. Vertreter aller kommunaler

Spitzenverbände erwarten von uns solche Reformen. Für die notwendige Ordnung

dieser Probleme wird die Landesregierung in systematischer Reihenfolge dem

Gesetzgeber Entwürfe zur Entscheidung vorlegen.

 

Immer wieder neu werden wir dann mit dem

Vorwurf konfrontiert, eine Verwaltungsreform müsste wegen der unterschiedlichen

Einwohnerzahlen mit einer gleichzeitigen kommunalen Gebietsreform durchgeführt

werden. Wir halten das für falsch.

 

Noch nie hat ein Bundesland zwei so

einschneidende Reformen gleichzeitig durchgeführt. Unsere wichtigste Aufgabe

ist die Entwicklung des Wirtschaftsstandortes und nicht die Umorganisation der

Selbstverwaltung. Das gilt für alle Verwaltungsebenen. Nur zur Einordnung

dieses Problems einige Vergleichszahlen aus anderen Bereichen:

 

-

Nach der EU-Erweiterung

wird der größte Staat innerhalb der Union ca. 205-mal größer sein als der

Kleinste. Alle Probleme werden durch Instrumente einer Funktional- und Verwaltungsreform

gelöst und niemand wird Gebietsreformen vorschlagen.

 

-

Innerhalb der

Bundesrepublik hat das größte Land fast 30-mal mehr Einwohner als das Kleinste.

Bisher konnten alle Probleme durch Funktional- und Verwaltungsreformen gelöst

werden. Seit fünfzig Jahren werden immer wieder einmal Gebietsreformen vorgeschlagen,

für die es bisher keine Mehrheiten gab. Unsere gegenwärtigen Probleme würden

wir dadurch nicht lösen.

 

-

Innerhalb

Sachsen-Anhalts hat der größte Kreis etwa 2-mal mehr Einwohner als der Kleinste.

In anderen Ländern ist diese Spreizung noch viel größer ohne dass sie darin ein

Problem sehen. Unsere gegenwärtigen Defizite würden wir durch gesetzlich

erzwungene Gebietsreformen nicht lösen, wohl aber vorübergehend erschweren.

 

Deshalb werden wir zunächst schrittweise und

mit zielstrebiger Konsequenz die Verwaltungsreform durchführen und danach über

die nächsten Notwendigkeiten sprechen. Ich habe bereits in meiner

Regierungserklärung darauf hingewiesen, dass die Durchführung der

Verwaltungsreform Auswirkungen auf die gegenwärtigen kommunalen

Gebietsstrukturen haben wird. Für die Entwicklung unseres Landes sind

gegenwärtig andere Reformen wichtiger.

 

Wir haben begonnen mit einer Bildungsreform,

die weit mehr bedeutet als ein Abitur nach 12 Jahren. Inzwischen ist überall

deutlich, dass eine Reform der Inhalte und Strukturen des gesamten

Bildungswesens notwendig ist. Wir werden beginnen mit einer Reform unserer

Strukturen im Hochschulwesen. Die Universität Mannheim in Baden-Württemberg ist

kürzlich vom Zentrum für Hochschulentwicklung ausgezeichnet worden, weil sie zu

Gunsten eines eigenen schärferen Profils zur Schließung einzelner Fächer bereit

war, um freie Ressourcen zur strategischen Entwicklung zu gewinnen. Das

brauchen auch unsere Hochschulen. Wir möchten, dass sie durch innere

Profilierung und abgestimmte Spezialisierung wettbewerbsfähige und damit

zukunftsfähige Strukturen finden, die auch langfristig finanzierbar bleiben.

Wir prüfen die Übernahme eines Vorschlages aus Nordrhein-Westfalen, in einem

Wissenschaftszentrum des Landes alle Servicefunktionen für Universitäten und

Hochschulen zu bündeln. Das würde die einzelnen Einrichtungen entlasten und das

Land müsste diese Aufgabenerledigung nur einmal bezahlen. Mit einer Reform der

Polizeistrukturen wurde bereits begonnen. Wir denken zur Zeit nach über eine

Reformierung unserer Sparkassen, die wir als wettbewerbsfähige

Finanzdienstleister für die Entwicklung unserer mittelständischen

Wirtschaftsstrukturen dringend benötigen. Nicht nur bei uns, aber eben auch bei

uns werden eine Reihe von Strukturreformen notwendig sein zur Anpassung an die

demografische Entwicklung.

 

Sinkende Schülerzahlen werden von der

Grundschule bis zum Gymnasium durchlaufend eine geringere Anzahl von Lehrern

und Schulen nötig machen. Die Schwierigkeiten konkreter

Anpassungsentscheidungen sind bekannt. Ein absolut und relativ höherer Anteil

älterer Mitbürger verlangt nicht nur Reformen der Altersvorsorge, sondern auch

Strukturentscheidungen für die ambulante und stationäre Betreuung. Der

bisherige Bevölkerungsrückgang hat dazu geführt, dass etwa die Hälfte der

Kreise jetzt schon weniger Einwohner haben als unserem Leitbild aus der ersten

Legislaturperiode entsprechen würde. Die Statistiker rechnen uns vor, wie diese

Entwicklung weiter gehen könnte und aus demografischen Gründen auch weiter

gehen wird. Die Wanderungsbilanz von und nach Sachsen-Anhalt ist immer noch

negativ. Die Bevölkerungszahl des Landes sinkt jährlich um ca. 0,9 %. Diese

Entwicklung kann kurzfristig nicht aufgehalten werden. Nur durch eine

systematische Verbesserung der Lebenschancen im Land können wir gegensteuern.

 

Wenn wir jetzt die Neuformierung von

Verwaltungsgemeinschaften über bisherige Kreisgrenzen hinweg bewusst zulassen,

kommt eine Entwicklung in Gang, deren Eigendynamik vorhersehbar ist. Wir werden

sie nicht bremsen sondern steuern. Manches hat sich völlig freiwillig und

unbemerkt vom Rest der Welt entwickelt. Von der kleinen Stadt Jessen wurden in

den letzten zehn Jahren 14 Kleinstgemeinden eingemeindet, so dass sie jetzt die

flächenmäßig größte Stadt Sachsen-Anhalts geworden ist. Das ist für mich ein

Beispiel weitsichtiger Kommunalpolitik unter Respektierung subsidiärer Entscheidungskompetenz.

Inwieweit andere diskutierte Gebietsänderungen vom Gesetzgeber Entscheidungen

verlangen werden, bleibt abzuwarten. Dass eine Verringerung der Anzahl von

Verwaltungseinheiten wenigstens mittelfristig auch zu Personaleinsparung führt

ist unstrittig.

 

Ich bin sicher, dass zu gegebener Zeit auch

eine solche Reform notwendig werden wird!

 

Die modernen, internetbasierten

Kommunikationstechnologien lassen manche dieser Diskussionen jetzt schon als

antiquiert erscheinen. Als erstes Bundesland hat Baden-Württemberg ein

elektronisches Bürgerdienste-Portal aufgebaut. Das Landesportal ist für alle

Kommunen geöffnet und bietet Service für fast alle Verwaltungsfunktionen. Die

Bürger müssen kaum noch zu einem Amt. Beim Aufbau eines Landesverwaltungsamtes

wollen wir Entscheidungsprozesse und Kompetenz zentralisieren, nicht unbedingt

die Verwaltungsarbeit. Moderne Systemanbieter auch aus Sachsen-Anhalt arbeiten

an Systemlösungen für dezentrale Verwaltungen in anderen Bundesländern. Da

müssen auch wir uns aus den Denkvorstellungen des vergangenen Jahrhunderts befreien.

Wir wollen Sachsen-Anhalt nicht für gestern aufbauen, auch nicht nur für heute,

sondern für morgen und übermorgen.

 

Es war mir wichtig vorzutragen, dass in der

nächsten Zeit auf allen Ebenen ¿ vom Konvent der Europäischen Union über

Bundestag und Landtage bis zu unseren Kreis-, Stadt- und Ortsräten eine Fülle

von Reformschritten zu entscheiden sein werden, die alle für unsere zukünftige

Entwicklung notwendig sind. Das wird im Einzelfall von uns verlangen, uns

selbst mit zu bewegen und uns aus der Befangenheit in bisherigen Denknormen zu

befreien. Um die Zukunft zu gestalten, wird es nicht genügen, gegenwärtige

Strukturen bewahren zu wollen. Dazu bedarf es zwischen Regierung und

Gesetzgeber auch einer Übereinkunft über die Reihenfolge der einzelnen Schritte

und gemeinsamer Entscheidungsmaximen. Alle Entscheidungen zu den Strukturen der

Selbstverwaltung und den Reformen der Risikoabsicherung müssen getroffen werden

unter den Sachzwängen der Entwicklung und Gestaltung des Wirtschaftsstandortes

Sachsen-Anhalt. Nur wenn es uns gelingt, unser Land zu einem werthaltigen

Wirtschaftsstandort zu entwickeln, einem Land, in das auch andere sich

einbringen weil sie sehen wie entschlossen wir uns selbst einbringen, nur dann

werden wir im Wettbewerb der Regionen eine Chance haben.

 

 

 

 

 

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