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Pressemitteilungen der Ministerien

"Die Mauer war ein grausames Symbol der Unfreiheit"/ Rede von Ministerpräsident Dr. Reinhard Höppner auf der Gedenkveranstaltung zum 40. Jahrestag des Mauerbaus in der Gedenkstätte Deutsche Teilung in Marienborn

13.08.2001, Magdeburg – 416

  • Staatskanzlei und Ministerium für Kultur

 

 

 

Staatskanzlei - Pressemitteilung Nr.: 416/01

 

Magdeburg, den 13. August 2001

 

"Die Mauer war ein grausames Symbol der Unfreiheit"/ Rede von Ministerpräsident Dr. Reinhard Höppner auf der Gedenkveranstaltung zum 40. Jahrestag des Mauerbaus in der Gedenkstätte Deutsche Teilung in Marienborn

"Wir erinnern uns heute an den Bau der Mauer quer durch Deutschland vor genau 40 Jahren. Wir erinnern an das Leid, das diese Mauer für die Menschen in Deutschland gebracht hat. Familien wurden gewaltsam getrennt, menschliche Verbindungen zwischen Ost und West brutal abgeschnitten. Das DDR-Regime zeigte sein unmenschliches Gesicht. Die politisch Verantwortlichen in der DDR, einschließlich aller in der Volkskammer vertretenen Parteien, feierten den Mauerbau als sogenannte "friedenssichernde Maßnahme". Vom "antifaschistischen Schutzwall" war die Rede, obwohl jeder wusste, dass die Mauer nicht vor eindringenden Feinden schützen, sondern die weglaufenden Menschen in der DDR halten sollte.

Zum genauen Erinnern gehört allerdings auch die Einsicht, dass die Teilung Deutschlands das Ergebnis des von Deutschen angezettelten Zweiten Weltkrieges war, eines Krieges, der unendlich viel Leid über unsere europäischen Nachbarvölker gebracht hat. Der Zweite Weltkrieg wurde alsbald von einem Kalten Krieg abgelöst, in dem sich zwei Blöcke unversöhnlich gegenüber standen, in dem jeder sorgsam seine Einflusssphäre sicherte und den anderen in der seinen gewähren ließ. Selbst der von den Ereignissen am 13. August schwer erschütterte damalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Willi Brandt, konnte nur schwer verstehen, dass die Westmächte gegen diesen Mauerbau nichts wirklich unternahmen. Man kann ihnen das nicht vorwerfen. Es war Kalter Krieg. Und ein heißer durfte es nicht werden.

Trotzdem: Alle historischen Einordnungen ¿ und manches ließe sich da hinzufügen ¿ rechtfertigen nicht das Leid von Millionen und den Tod von Hunderten von Menschen. Die Mauer war vor allem das Ergebnis der Politik eines diktatorischen Staates und der Politik totalitärer Regime im Ostblock. Darum gilt es heute vor allem daran zu erinnern, dass diese Mauer die Freiheit beschränkt, Todesopfer gefordert und massiv in das Schicksal vieler Menschen eingegriffen hat. Diese Tatsache lässt sich durch keine Entschuldigung aus der Welt schaffen.

Ich weiß, an diesem Tag werden bei vielen Menschen in Deutschland höchst unterschiedliche Emotionen wach. Da sind zunächst die Menschen, die Angehörige an der Mauer verloren haben durch den grausamen und menschenverachtenden Schießbefehl. Ihnen gehört heute unser Mitgefühl. Wer könnte ihre Wut und ihre Trauer nicht verstehen.

Mir fällt dabei allerdings auch ein Nachtgespräch mit einem Jugendlichen ein, der damals in meinem Alter war und zur NVA einberufen werden sollte, zum Wachdienst an der Mauer. Er hatte Angst. Was mache ich, wenn jemand in meinem Abschnitt über die Mauer will? Ich kann doch nicht auf ihn schießen! Und wenn ich es nun doch mache, einfach aus Angst? Ich habe ihn später noch einmal getroffen. Es war keiner gekommen, und er war froh, diese schlimme Zeit hinter sich zu haben. Auch das sind Erinnerungen an die Mauer.

Ein vergleichbarer Schießbefehl galt übrigens auch an militärischen Objekten in der DDR, auch an der Kaserne, in der ich während meiner NVA-Zeit war. Da habe ich erlebt, wie ein Soldat seinen Kameraden niedergeschossen hat, der sich mit einem Sprung über die Kasernenmauer einen ungenehmigten Ausgang verschaffen wollte. Auch solche Erinnerungen werden wieder wach, wenn wir über Mauer und Schießbefehl reden.

Erinnern muss man auch an die Menschen, die im engsten Grenzstreifen gelebt haben, mit erheblichen Einschränkungen ihrer Freiheit auch noch in den achtziger Jahren, als der kleine Grenzverkehr über sie hinwegrollte und sie nicht einmal zu großen Familienfeiern engste Verwandte aus dem Westen zu Hause empfangen durften. Noch schlimmer ging es manchen Zwangsausgesiedelten, die über Nacht abtransportiert wurden und Jahre ihre Heimat nicht wieder gesehen haben. Das alles erinnern Menschen, wenn von der DDR als Unrechtsstaat gesprochen wird. Und sie haben guten Grund, an diesem Begriff festzuhalten.

Die meisten DDR-Bürger freilich haben die Grenzanlagen entlang der innerdeutschen Grenze nie zu Gesicht bekommen. Auch ich habe die Grenzanlagen hier in Marienborn erst nach dem Fall der Mauer gesehen. Wenn ich hier stehe, kommt mir als erstes das Wunder der Wiedervereinigung in den Sinn. Ich verbinde mit diesem Ort nicht die ängste der Grenzkontrollen.

Davon freilich können nun viele Westdeutsche unendliche und nur aus sicherem Abstand heraus vielleicht auch komische Geschichten erzählen. Ich bin heute noch allen dankbar, die diese ängste auf sich genommen und Menschen in der DDR besucht haben, um die Verbindung zu halten und Brücken zwischen Ost und West zu bauen. Wir haben sie in unseren Wohnzimmern empfangen. Für sie aber war nach überschreiten dieser Grenze der Polizeistaat allgegenwärtig. Wer diese schikanösen Kontrollen hinter sich hatte, fühlte sich natürlich wie zu Besuch im Gefängnis.

Wenn wir heute am 13. August des 40. Jahrestages des Mauerbaus gedenken, dann stoßen sehr viele unterschiedliche Gefühle und Erfahrungen aufeinander. Jede Erfahrung hat ihr Recht und ihr Gewicht. Es wäre angemessen, wenn wir diesen Tag nutzen würden, um uns unsere unterschiedlichen Erfahrungen und Einschätzungen gegenseitig zu erzählen, ohne sie mit dem Etikett falsch oder richtig zu belegen. An der Mauer sind Welten aufeinander geprallt, Welten, die jetzt wieder zusammenwachsen wollen. An der Mauer haben wir erlebt, was Freiheit und was Unfreiheit ist.

Wir im Osten mussten lernen, mit der Unfreiheit zu leben. Konnte sich vor dem 13. August 1961 noch jeder in der DDR die Frage stellen, ob er hier bleiben oder in den Westen gehen will - was freilich meist die Trennung von Heimat und Besitz bedeutete - , so war danach jeder, der (noch) geblieben war, gezwungen, sich irgendwie einzurichten. Die Mauer erzeugte in der DDR einen Zwang zur Anpassung für alle die, die nicht ständig unter dem Druck der politischen Verhältnisse leiden wollten. Auch das war ein Ergebnis des Mauerbaus. Kein Außenstehender sollte daraus Vorwürfe ableiten.

Im Westen begann die Arbeit, die Mauer wieder durchlässiger zu machen. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Aufregung im Zusammenhang mit den ersten Passierscheinabkommen. Für mich besteht kein Zweifel, die neue Ostpolitik von Willi Brandt war ein wesentlicher Schritt, nicht nur der Mauer ein Stück ihrer Grausamkeit zu nehmen, sondern auch, sie schließlich ganz zu Fall zu bringen. Ich jedenfalls nehme diesen Tag gerne zum Anlass, allen zu danken, die zur überwindung dieser menschenverachtenden Grenze quer durch Deutschland beigetragen haben.

Lassen sie mich schließlich an drei Aufgaben erinnern, die heute vor uns liegen:

 

 

Die Mauer ist weg. Wir können wieder zueinander kommen. Menschen in Ost und West können wieder ihre gemeinsame deutsche Geschichte an ihren historischen Orten kennen lernen. Die lange durch die Mauer getrennten Menschen können sich wieder wirklich und in Freiheit begegnen. Also tun wir es doch bitte auch. Reden wir miteinander und nicht nur übereinander.

Die Folgen der Teilung sind noch lange nicht überwunden. Das wird noch eine Generation dauern. Im Solidarpakt II haben wir den finanziellen Ausgleich dieser teilungsbedingten Nachteile bis zum Jahr 2020 geplant. Wir brauchen noch viel Geduld auf der einen und Solidarität auf der anderen Seite. Die Folgeschäden der Mauer sind lang anhaltend. Tragen wir sie gemeinsam ab.

Das dritte mag manchem abwegig erscheinen. Aber es ist mir wichtig. Lassen wir nicht zu, dass neue Mauern aufgebaut werden. Dabei meine ich nicht nur neue Mauern von Vorurteilen zwischen Ost und West, auch wenn die immer noch beschämend groß sind. Ich meine auch andere Mauern quer durch unsere auf den ersten Blick so freiheitliche Gesellschaft. Ich meine Mauern zwischen arm und reich, Deutschen und Ausländern, Arbeitslosen und überbeschäftigten.

 

Die Mauer war ein grausames Symbol der Unfreiheit, das Menschenleben zerstört hat. Die Freiheit für alle in einer menschenwürdigen Gesellschaft muss täglich neu erkämpft werden. Die Erinnerung an den Mauerbau vor 40 Jahren sollte uns dazu ermutigen. Das ist das Beste, was wir in Erinnerung an die Maueropfer heute tun können."

 

 

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