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Pressemitteilungen der Ministerien

Innenminister Dr. Manfred Püchel würdigte 10jähriges Bestehen der Sudetendeutschen Landsmannschaft Kreisverband Aschersleben-Staßfurt

19.10.2001, Magdeburg – 149

  • Ministerium für Inneres und Sport

 

 

 

Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 149/01

 

Magdeburg, den 19. Oktober 2001

 

Es gilt das gesprochene Wort!

Innenminister Dr. Manfred Püchel würdigte 10jähriges Bestehen der Sudetendeutschen Landsmannschaft Kreisverband Aschersleben-Staßfurt

Sie kennen sicher den Spruch: Du kannst einen Menschen aus seiner Heimat entfernen, aber du kannst die Heimat nicht aus ihm entfernen. Und in der Stube meiner Mutter hängt seit fast 50 Jahren der Spruch: Erinnerung ist das einzige Paradies, aus welchem wir nicht vertrieben werden können. Denn meine Eltern sind Sudetendeutsche. Sie haben sich hier nach der Vertreibung eine neue Existenz aufgebaut, haben hier eine neue Heimat gefunden. Die Erinnerung an die alte Heimat hat sie jedoch nie losgelassen, an Böhmisch Leipa, an Auscha bei Leitmeritz. Viele Traditionen und Bräuche haben meine Eltern in der neuen Heimat beibehalten, auch die gute böhmische Küche.

 

Nach der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten hatten die Vertriebenen in unserem Teil Deutschlands endlich die Freiheit, auf ihr Vertreibungsschicksal sowie auf den schmerzlichen Verlust ihrer Heimat mit all den Problemen, die sich daraus ergeben haben, aufmerksam zu machen.

 

Zu DDR-Zeiten zwang uns der Staat, unser Schicksal hinter dem Wort Umsiedler zu verstecken. Damit wollte man vom Unrecht der Vertreibung ablenken. Wenn schon das Wort Vertreibung verboten war, war es natürlich erst recht die Bildung von Vereinen, in denen man sich treffen, über die alte Heimat sprechen und Brauchtumspflege betreiben konnte. Dies beschränkte sich bis zum Ende der DDR eigentlich fast nur auf den eigenen Familienkreis.

 

Wie überall in Ostdeutschland wurden auch hier gleich nach der Wende erste Kontakte mit Bekannten aus der alten Heimat geknüpft. Endlich konnte man wieder auf das Kulturgut der Vertriebenen aufmerksam machen, es pflegen und auch darüber sprechen, wie es den Betroffenen nach der Vertreibung in der neuen Heimat ergangen war.

 

Erinnern wir uns an den Sommer/Herbst 1945. Obwohl das Potsdamer Abkommen die weitere Ausweisung von Deutschen aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn bis zur Verabschiedung eines Planes der organisierten Umsiedlung verboten hatte, trafen viele Vertriebene in der SBZ zum ständigen Verbleib oder zur Weiterreise mit Sammeltransportzügen ein.

 

Für die Verantwortlichen vor Ort kam es in dieser Zeit darauf an, schnellstmöglich Vorkehrungen auf Bahnhöfen zu treffen, um die medizinische und sanitäre Betreuung sowie die Versorgung mit Nahrungsmitteln sicherzustellen. Bereits im "Plan der Umsiedlerbetreuung in der Provinz Sachsen" wurde darauf hingewiesen, dass für die ankommenden Vertriebenen in den Grenzbahnhöfen Unterkunftsräume mit Verpflegungsmöglichkeiten geschaffen und die Grenzen zu den anliegenden Territorien geschlossen werden sollten.

 

Aber beide Forderungen wurden nicht realisiert. Auf größeren bzw. stark frequentierten Bahnhöfen wurde zwar versucht, Bahnhofsstationen einzurichten, aber oft genug scheiterte das 1945 an bürokratischen Hindernissen, mangelnder Hilfsbereitschaft oder tatsächlich nicht gegebenen Möglichkeiten. Anfang 1946 meldete jedoch die Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler, dass auf allen größeren Bahnhöfen und Eisenbahnknotenpunkten unserer Region Verpflegungsstellen eingerichtet worden seien.

 

Ab Juni 1946 war die Verpflegung von Vertriebenen zum Beispiel auf dem Hauptbahnhof Magdeburg durch eine Betreuungsstelle unter Mithilfe der Frauenausschüsse und des "Umsiedleramtes" der Stadtverwaltung aus diversen Spenden gesichert. In der Zeit von Juni 1946 bis Februar 1947 wurden dort ca. 32.000 einzelreisende Vertriebene und Heimkehrer sowie über 18.000 in geschlossenen Transporten reisende Vertriebene mit nahezu 14.000 Litern Suppe und knapp 17.000 Litern Kaffee und Tee versorgt.

 

Eine zielgerichtete Betreuung der Vertriebenen auf dem Transport war auch deshalb oft unmöglich, weil viele es vorzogen, die geschlossenen Transporte zu verlassen und sich selbständig um eine Unterkunft bemühten. Um dieses ziellose Umherirren zu unterbinden, erließ die Sowjetische Militäradministration in Deutschland Anfang Oktober 1945 verschiedene Befehle und Anordnungen.

 

So befahl die Kommandantur-Dienstverwaltung der Sowjetischen Militäradministration den Chefs der Sowjetischen Militäradministration der Länder am 4. Oktober 1945 Maßnahmen zur ordnungsgemäßen Durchführung der in Potsdam beschlossenen Bevölkerungsumsiedlung.

 

Nach diesem Plan sollte das heutige Sachsen-Anhalt 400.000 Deutsche aus der Tschechoslowakei zum ständigen Verbleib aufnehmen. Der Grundgedanke der Verteilung war dabei, die Vertriebenen überwiegend in die landwirtschaftlichen Gebiete mit geringer Bevölkerungsdichte einzuweisen. Er berücksichtigte dabei aber nicht solche Faktoren wie die Infrastruktur, die Standortverteilung der Wirtschaft, den industriellen Entwicklungsstand und den vorhandenen Wohnraum in den vorgesehenen Aufnahmeterritorien.

 

Von den 1949 hier wohnhaften ca. 4,3 Mio. Menschen waren über 1 Mio. Vertriebene. Die Wohnraumsituation spitzte sich dramatisch zu, weil infolge der Kriegseinwirkungen mehr als 20 Prozent der Wohnungen zerstört worden waren. Die Vergabe von Unterkünften verlief, wie viele in den damaligen Akten vermerkte Streitfälle belegen, auf dem Papier viel einfacher als in der Wirklichkeit, Verlierer waren fast immer die Vertriebenen.

 

Dies kommt in einem Bericht der Kommission für "Wohnliche Unterbringung der Umsiedler" zum Ausdruck, in dem auf die unzumutbaren Wohnverhältnisse tausender Vertriebener, die in Bodenkammern, Kellerlöchern, Waschküchen, Stallgebäuden ¿ alles als Wohnraum deklariert ¿ hausten, hingewiesen wurde.

Neben den Zerstörungen der Wohngebäude und großer Teile der Infrastruktur wirkte sich insbesondere die Vernichtung ganzer Industrie- und Landwirtschaftszweige unmittelbar auf die Lebenssituation der Menschen in der Nachkriegszeit aus. So wurden etwa 30 Prozent des Maschinenparks in der Landwirtschaft durch Kriegseinwirkungen zerstört oder unbrauchbar gemacht.

Erst mit Beginn der Bodenreform im Jahre 1945 erfüllte sich ein lang gehegter Wunsch der Vertriebenen nach einer eigenen Scholle. Der Neuanfang auf den von den staatlichen Stellen zugewiesenen Bauernhöfen war oftmals schwer. Fehlte es doch an fast jeglicher Ausstattung. Hinzu kam der Umstand, dass es eine ganze Reihe von Versuchen gab, die Vertriebenen zu benachteiligen. Dabei funktionierten die alten sozialen Beziehungen zwischen den "Altbauern" weiter.

Bis zum 1. Januar 1950 erhielten insgesamt über 91.000 Vertriebene in der DDR Land durch die Bodenreform. Zusammen mit ihren Familienangehörigen konnten dadurch 350.000 Vertriebene einen Neuanfang wagen.

Am wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands nach dem Kriege waren die Vertriebenen im Westen wie auch im Osten maßgeblich beteiligt

Diese Anerkennung gebührt ausdrücklich auch den Vertriebenen in der DDR. Leider haben diese im Osten Deutschlands, im Gegensatz zu vielen Vertriebenen in den westdeutschen Ländern, diese Anerkennung nicht erfahren. Deshalb ist es bleibende Aufgabe der Politik, in den neuen Ländern dafür zu sorgen, dass deren Einwohner und damit auch die Vertriebenen nicht erneut zu den Benachteiligten gehören. Meine Unterstützung dafür ist Ihnen gewiss.

Ende 1947 wollte die SED die Eingliederung der Vertriebenen vorantreiben. Die Sowjetische Militäradministration und ihre ausführenden Organe befürchteten Unzufriedenheit, ja Unruhen unter den Vertriebenen. So setzte eine Kriminalisierung derjenigen ein, die das Trauma von Flucht und Vertreibung nicht schnell genug verdrängen konnten. Die Pflege der heimischen Sitten, Traditionen und Gebräuche, die Bewahrung der eigenen kulturellen und historischen Identität wurden verfolgt, verboten und bestraft.

 

Das betraf zum Beispiel einen "Bund Danziger Antifaschisten" in Magdeburg, der die sowjetische Kommandantur um eine Veranstaltungserlaubnis nachgesucht hatte. über das weitere Schicksal ist nur so viel bekannt, "dass sich die Sowjetische Militäradministration dieses Falles annahm", wie es verharmlosend hieß.

Weitere Versuche von Vertriebenen, landsmannschaftliche Interessenvertretungen zu bilden, wurden durch Denunziation und Bestrafung frühzeitig im Keime erstickt. So blieben die Vertriebenen zunächst heimatlos: Die alte Heimat sollten sie schnell vergessen, in der neuen fühlten sie sich vielfach unverstanden und allein.

Ab 1948 wurden die Vertriebenen in dem Gebiet der DDR als eingegliedert betrachtet und die Umsiedlerstellen aufgelöst. Das galt auch für die Umsiedlerausschüsse auf allen Ebenen. So sollte das Vertriebenenproblem allmählich aus dem Blickwinkel der öffentlichkeit verschwinden. Dazu zählte auch, dass ab 1949 die Vertriebenen in den offiziellen Bevölkerungsstatistiken nicht mehr gesondert ausgewiesen wurden.

Nachdem die SED ab 1948/49 die Integration dieser Menschen für abgeschlossen erklärt hatte, gab es für sie keinen Grund mehr, in ihrer politischen Arbeit gesondert auf die Vertriebenen einzugehen. Die Massenpropaganda, die von diesem Zeitpunkt an die Durchsetzung des Stalinistischen Sozialismusmodells unterstützen sollte, richtete sich fortan an die gesamte Bevölkerung der DDR.

 

Für die Vertriebenen stellte sich die Frage: Was kann die Heimat ersetzen, wenn das Heimatland nicht mehr erreichbar ist? In der DDR war die offizielle Antwort auf diese Frage eindeutig: Die Heimat ist dort, wo die neue sozialistische Gesellschaft und das "bessere" Deutschland aufgebaut wurden.

In der Bundesrepublik lagen die Dinge anders, denn der Staat erhob nicht den Anspruch, Heimat zu sein. Aber er nahm Anteil am Schicksal der Vertriebenen und sah darin einen Teil gesamtdeutschen Schicksals. Von staatlicher Seite wurde immer wieder die Völkerrechtswidrigkeit der Vertreibung artikuliert.

Bei allen Unterschieden aber ist die Situation der Flüchtlinge in beiden deutschen Staaten in einer Hinsicht vergleichbar: Sie trafen nicht auf eine statische Gesellschaft, an die sie sich anpassen mussten, sondern sie wurden Teil eines Aufbauprozesses, den sie durch ihren Aufbauwillen maßgeblich mitbestimmt haben. Und: Als unsichtbares Fluchtgepäck brachten sie ihr kulturelles Erbe ein.

Dieser Rückblick in die Vergangenheit zeigt deutlich, dass das Leid und das Schicksal der Vertriebenen nicht verschwiegen werden darf. Sie haben ein Recht darauf, auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen, an ihre Heimat zu denken, in die Heimat zu fahren und Kontakte aufzubauen und ihr Brauchtum zu pflegen.

Der Lauf der Geschichte hat es uns möglich gemacht, sich heute öffentlich zu unserer Heimat zu bekennen. Als Kind von Sudetendeutschen weiß ich nur zu genau, wie schwer der Verlust der alten Heimat gerade auch für die älteren wiegt. Sie haben die Beziehung zur Heimat nie verloren. Sind mit ihr doch Kindheit, Jugend, Elternhaus, Wurzeln und Geschichte verbunden.

Mit vielen Veranstaltungen zur Brauchtumspflege, Fahrten in die alte Heimat, kulturellen Veranstaltungen hat sich der sudetendeutsche Kreisverband Aschersleben-Staßfurt um die Erhaltung des Kulturgutes verdient gemacht. Dafür möchte ich Ihnen heute einmal ganz besonders danken.

Nach fast fünf Jahrzehnten der europäischen Teilung sind die Grenzzäune gefallen, wächst Europa in Frieden zusammen. Standen sich zu Zeiten des Kalten Krieges Ost und West als Machtblöcke gegenüber, getrennt nicht nur durch Mauern und Grenzzäune, sondern auch ideologisch und wirtschaftlich, streben diese Völker heute ein geeintes Europa unter dem Dach der Europäischen Union an. So sind Länder wie Polen, Ungarn, Tschechien und die baltischen Staaten, die sich dem mitteleuropäischen Kulturkreis zugehörig fühlen, auf dem Sprung in die Europäische Union.

Der Grundstein für ein friedliches Miteinander der Völker Europas ist somit gelegt. Wir erleben heute eine Entwicklung, die vor 10, 20 Jahren niemand für möglich halten konnte.

Abschließend lassen Sie mich einen Gedanken äußern, den ich auch kürzlich auf der zentralen Veranstaltung des Landesverbandes am Tag der Heimat in Magdeburg angesprochen habe.

über 56 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges müssen wir uns einer weiteren Herausforderung stellen. Was Ihnen damals gelungen ist, nämlich, sich in Ihre neue Heimat zu integrieren, soll auch den Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern, die jetzt zu uns kommen, gelingen. Diese Integration liegt mir sehr am Herzen, muss uns allen am Herzen liegen. Und sie muss mit Herz und Verstand angegangen werden. Dafür wünsche ich uns gute Ideen, Kraft und Engagement.

 

Ihrer heutigen Veranstaltung wünsche ich einen guten Verlauf.

 

 

 

 

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