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Pressemitteilungen der Ministerien

Eröffnungsrede von Dr. Rainer Holtschneider, Innenstaatssekretär des Landes Sachsen-Anhalt und Vorsitzender des Landespräventionsrates, anlässlich der ersten Landespräventionskonferenz "Gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit" am
10. Oktober 2001 in Magdeburg

10.10.2001, Magdeburg – 142

  • Ministerium für Inneres und Sport

 

 

 

Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 142/01

 

Magdeburg, den 10. Oktober 2001

 

Es gilt das gesprochene Wort!

Eröffnungsrede von Dr. Rainer Holtschneider, Innenstaatssekretär des Landes Sachsen-Anhalt und Vorsitzender des Landespräventionsrates, anlässlich der ersten Landespräventionskonferenz "Gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit" am

10. Oktober 2001 in Magdeburg

 

Anrede,

 

als Vorsitzender des Landespräventionsrates Sachsen-Anhalt heiße ich Sie anlässlich der ersten Landespräventionskonferenz hier in Magdeburg ganz herzlich willkommen. Wir möchten gemeinsam mit Ihnen die Phänomene Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit beleuchten, vorhandene Gegenkonzepte besprechen und Ihnen die Gelegenheit geben, Defizite zu benennen.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

ich denke Sie haben Verständnis, dass ich zunächst auf die aktuelle Lage eingehen möchte, beeinflusst sie doch auch die heutige Veranstaltung mehr, als dies auf den ersten Blick möglich erscheint. Wir haben uns hier in einer Zeit versammelt, die überschattet ist von dem ungeheuren Terroranschlag gegen die USA. Fassungslos stehen wir dieser, in diesem Ausmaß noch nicht dagewesenen terroristischen Attacke gegenüber. Die am vergangenen Sonntag begonnenen offenen militärischen Gegenaktionen sind nach Angaben des amerikanischen Präsidenten nur ein Schritt in Richtung des Ziels, das Netz des weltweiten Terrorismus zu zerstören. Spätestens seit den Ereignissen des 11. September ist wohl jedem der Begriff "Schläfer" vertraut. Nach allem was bekannt ist, dürften sich solche Personen in vielen Ländern der Erde aufhalten und angesichts der zugespitzten Lage als potentielle terroristische Gewalttäter in Frage kommen. Da solche Strukturen bisher jedoch erst fragmentarisch aufgehellt werden konnten und bis auf einzelne Personen bisher sehr wenig bekannt ist, lassen sich keine zufriedenstellenden Rückschlüsse auf die Gefährdungslage in unserem Land ziehen. Einer Gefahr, die man kennt, kann man ausweichen oder ihr entsprechend begegnen. Die gegenwärtige Situation lässt sich jedoch sehr schwer einschätzen und so sind verlässliche Prognosen kaum aufzustellen. Spekulationen aber sind der Nährboden für Vorurteile und können Einstellungen und Handlungen in negativer Weise beeinflussen. Trotz all dieser Unsicherheiten können wir die Hände nicht in den Schoß legen.

 

Neben allen präventiven Maßnahmen der geschilderten Art hier im Lande tritt aber als nahezu zwangsläufige Folge eine Polarisierung durch äußere Ereignisse dieser Art ein, und sogar eine weltweite. Dementsprechend hat der Terroranschlag in den USA international vielfältige Reaktionen ausgelöst und entsprechend differenziert werden auch die Reaktionen auf die Gegenmaßnahmen ausfallen, zum Teil erleben wir sie schon. Erinnern wir uns an die Bilder tiefer Betroffenheit und an Kerzen vor amerikanischen Einrichtungen, so fallen uns sogleich auch die Freudenbekundungen religiöser Fanatiker ein und wir sehen die Gefahr fremdenfeindlicher übergriffe auf Menschen, die nach äußerem Erscheinen islamisch geprägt sind. Die Gefährdung durch Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus tritt angesichts des 11. September daher nicht etwa in den Hintergrund, sondern kann sogar eine Verstärkung erfahren. Eine demokratische Gesellschaft muss sich daran messen lassen, wie sehr sie sich gegen solche Auswüchse einsetzt und ob sie eine rationale und differenzierte Auseinandersetzung mit diesen Problemen ermöglicht.

Dies, denke ich, hat eine Menge mit dem Thema zu tun, über das wir heute gemeinsam reden wollen.

 

Die kulturelle Vielfalt einer Gesellschaft wird wesentlich geprägt durch zugewanderte Menschen. Nach Deutschland kamen und kommen Arbeitsmigranten/innen, Aussiedler/innen und Flüchtlinge aus den Krisenregionen der Welt. Insofern spiegeln sich hier die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse aus den Heimatländern der Migranten/innen wider. Ausländische Menschen stellen längst einen festen Bestandteil unserer Gesellschaft dar und angesichts insbesondere der demografischen Fakten ist abzusehen, dass unser Land in Zukunft auf diesen Zuwachs von außen angewiesen sein wird. Von einer "Normalisierung" und alltäglichem Zusammenleben kann man dennoch nicht sprechen. Der Ausländeranteil an der Wohnbevölkerung ist in den östlichen neuen Bundesländern vergleichsweise zu den westlichen alten sehr gering. Als Paradoxon muss es daher empfunden werden, dass gerade hier ein erhebliches fremdenfeindliches Potential vorhanden zu sein scheint. Gerade in diesem Punkt wird meines Erachtens besonders deutlich, dass die Entstehungsbedingungen von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit sowie Intoleranz entscheidend von der subjektiven Seite des Einzelnen geprägt und daher rational sehr schwer zu fassen sind.

 

Fremdenfeindlichkeit und Rassismus haben viele Gesichter und sind auch in Sachsen-Anhalt keine neuartigen Phänomene. Schon in den 80er Jahren gab es in der ehemaligen DDR eine Alltagskultur, die nur schwer mit den damaligen offiziellen Verlautbarungen von Internationalismus und Völkerfreundschaft in Einklang zu bringen war. Deutlich wurde dies bereits in den umgangssprachlichen Begriffen, welche für die isoliert in der DDR lebenden mocambiquanischen und vietnamesischen Vertragsarbeiter gewählt wurden. Eine Integration dieser Menschen in den DDR-Alltag hat es abgesehen von ihren Kontakten am Arbeitsplatz praktisch kaum gegeben. Die im Zuge der Wende errungene freie Gesellschaftsordnung hat vorhandene Probleme nur deutlicher ans Licht geholt.

 

Fremdenfeindlichkeit steht nicht notwendigerweise im direkten Zusammenhang mit Rechtsextremismus. Allerdings ist umgekehrt davon auszugehen, dass Menschen mit rechtsextremistischen Einstellungen grundsätzlich fremdenfeindlich geprägt sind. Auffällig ist, dass die Täter von rechtsextremistischen oder fremdenfeindlichen Straftaten zum überwiegenden Teil nicht in festen extremistischen Strukturen organisiert sind. Darüber hinaus werden diese Straftaten hauptsächlich durch männliche Jugendliche und zwar in unmittelbarer Nähe ihres Wohnumfeldes begangen. Es handelt sich also, was vielleicht erschreckend klingen mag, um "ganz normale" Jugendliche.

Wir stellen einen stark zurückgegangenen Bereich der linksextremen Gewalttaten, dagegen einen Zuwachs an rechtsextremistischen und fremdenfeindlichen Straftaten, und auch Gewaltstraftaten fest, insgesamt ein zwiespältiges Bild.

 

Anrede,

 

die Sicherheit vor kriminellen übergriffen, die Gewährleistung des Schutzes von Leben, Gesundheit, Eigentum und anderen Rechten ist ein elementares soziales Grundbedürfnis aller Menschen in unserem Lande.

 

Eine intelligente und pragmatische Politik ist gefordert, die nicht nur entschlossenes Handeln gegen Straftaten in die Tat umsetzt, sondern gleichzeitig die Beseitigung der Kriminalitätsursachen anstrebt. Prävention ist also gefragt. Leider wird Kriminalprävention auch heute noch oftmals als alleinige Aufgabe von Polizei und Justiz betrachtet. Abschreckende Wirkung erhofft man sich durch schärfere Gesetze, härtere Verurteilungen und mehr Polizei auf der Straße. Diese sehr eindimensionale Sicht liefert ein einfaches Rezept für komplexe Zusammenhänge. Solche einfachen Lösungen erscheinen bequem und sind anscheinend für nicht wenige Menschen besonders attraktiv. In Hamburg haben wir dafür gerade wieder ein Beispiel erlebt.

 

Richtig ist, dass der Staat mit Hilfe der dafür geschaffenen Institutionen insbesondere der Parlamente für Regeln und Normen des Zusammenlebens sorgen und deren Einhaltung exekutiv auch überwachen und durchsetzen muss. Ein ursachenorientierter Ansatz muss jedoch noch wesentlich früher und an anderen Stellen ansetzen und mit einer größeren Zahl an Beteiligten mit Leben erfüllt werden. Nur dann haben wir eine wirkliche Chance, den Wurzeln der Fremdenfeindlichkeit und des Rechtsextremismus den Nährboden zu entziehen.

 

Diese Phänomene müssen also als eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung von allen Akteuren gesehen werden. Wenn wir erreichen wollen, dass Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit keine aktuellen Probleme mehr sind, müssen wir, d. h. der Staat, die Gesellschaft und jeder einzelne von uns, bereit sein, an Aktivitäten zur Eindämmung und Bekämpfung dieser Phänomene teilzunehmen. Der Landespräventionsrat sieht sich dieser Kriminalprävention mit gesamtgesellschaftlichem Ansatz verpflichtet. Seine Ziele bestehen unter anderem darin, den Austausch bestehender kriminalpräventiver Gremien zu fördern, die Bildung neuer Gremien zu begleiten sowie eine finanzielle Förderung von einschlägigen Projekten vorzunehmen. Im laufenden Jahr wurden bisher vier Projekte von nichtstaatlichen Institutionen gefördert, die sämtlich auf Jugendliche ausgerichtet sind und sich gegen Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus richten. Wir sind hier bereit und in der Lage, noch mehr Projekte zu fördern. Es fehlen uns aber zurzeit geeignete Anträge. Ich hoffe, die Tagung gibt auch insoweit neue Anregungen.

 

Anrede,

 

die heutige Veranstaltung soll insbesondere örtlich tätigen Akteuren aus der Präventionsarbeit ein Forum bieten, ihre Erfahrungen im Zusammenhang mit den Phänomenen Rechtsextremismus und Fremdendfeindlichkeit mitzuteilen und Verbesserungen vorzuschlagen. In der Diskussion wird die Möglichkeit bestehen, die einzelnen Konzepte zu bewerten und sie gegenüberzustellen. Ziel soll eine kritische Bestandsaufnahme sein, wie diesen Tendenzen vor Ort tatsächlich begegnet wird und wie Initiativen in dieser Aufgabe unterstützt werden können. Ich habe in meinen Ausführungen bereits darauf hingewiesen, dass rechtsextremistische und fremdenfeindliche Aktivitäten überwiegend im Wohnumfeld der damit im Zusammenhang stehenden Personen stattfinden. Ferner wurde deutlich, dass diese Phänomene, zumindest was ihre sichtbaren Formen angeht, eine "Domäne" von Jugendlichen sind.

 

Daher ist der Verlauf der heutigen Veranstaltung so vorgesehen, dass im wesentlichen zwei größere Blöcke im Mittelpunkt stehen werden. Zum einen werden Vertreter örtlich tätiger Präventionsgremien ihre Sichtweise darstellen. Zum anderen werden speziell in der Jugendarbeit tätige Institutionen zu Wort kommen. Ein Ergebnis des heutigen Tages im Sinne einer "Punktlandung" wird man sicher nicht erwarten können, zu unterschiedlich werden vermutlich die einzelnen Ansätze und Forderungen sein. Die angestrebte Bestandsaufnahme soll jedoch und für alle Beteiligten einen Erfahrungsaustausch ermöglichen und der im Landespräventionsrat eingerichteten Arbeitsgruppe "Rechtsextremismus/Fremdenfeindlichkeit" als Orientierung für künftige Schwerpunktsetzungen dienen.

 

 

 

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