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Pressemitteilungen der Landesregierung

Innenministerin stellt Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2023 vor

02.07.2024, Magdeburg – 312/2024

  • Staatskanzlei und Ministerium für Kultur

Sachsen-Anhalts Innenministerin Dr. Tamara Zieschang hat heute gemeinsam mit dem Leiter des Verfassungsschutzes Jochen Hollmann den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2023 vorgestellt. Darin wird insbesondere auf folgende Aspekte hingewiesen:

  1. Der Verfassungsschutz stuft den Landesverband Sachsen-Anhalt der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) seit dem vergangenen Jahr als gesichert rechtsextremistische Bestrebung ein. Die politische Agitation der AfD Sachsen-Anhalt richtet sich gegen essentielle Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere gegen die Garantie der Menschenwürde aus Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) und gegen das Demokratieprinzip aus Artikel 20 Absatz 1 GG. Führende Funktions- und Mandatsträger sind darüber hinaus eng mit anderen rechtsextremistischen Organisationen vernetzt.
  2. Mit israelfeindlicher und antisemitischer Hasspropaganda haben extremistische Gruppierungen auf die jüngste Eskalation des Nahostkonflikts infolge des Terrorangriffs der HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 reagiert. In der islamistischen und rechtsextremistischen Szene Sachsen-Anhalts erfolgte dies überwiegend über das Internet. Linksextremisten aus dem sogenannten antiimperialistischen Spektrum führten hingegen mehrere Kundgebungen durch, bei denen zahlreiche Äußerungen zu verzeichnen waren, die dem israelbezogenen Antisemitismus zuzurechnen sind.
  3. Das extremistische Personenpotenzial hat im Jahr 2023 einen neuen Höchststand erreicht. Insgesamt hat der Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt rund 5.480 Personen als Extremisten eingestuft. Dies entspricht einem Anstieg von mehr als 70 Prozent bzw. 2.310 Personen gegenüber dem Vorjahr. Dieser Zuwachs ist vor allem auf einen starken Anstieg des Personenpotenzials im Phänomenbereich Rechtsextremismus auf rund 3.350 Personen (2022: 1.270) infolge der Einstufung der AfD Sachsen-Anhalt als rechtsextremistische Bestrebung zurückzuführen. Aber auch in den Phänomenbereichen Reichsbürgerszene und Linksextremismus hat der Verfassungsschutz einen Anstieg des Personenpotenzials festgestellt.

Innenministerin Dr. Tamara Zieschang: „Unsere Demokratie steht unter Druck: Noch nie waren in Sachsen-Anhalt so viele Menschen in verfassungsfeindlichen Strukturen organisiert wie im vergangenen Jahr. Einen Schwerpunkt der Arbeit des Verfassungsschutzes bildet nach wie vor die Beobachtung der rechtsextremistischen Szene. Insbesondere der sogenannten Neuen Rechten ist es in den vergangenen Jahren teilweise gelungen, fremdenfeindliche Positionen und Begriffe im öffentlichen Diskurs zu verankern oder sogar auf deren Normalisierung hinzuwirken. Vor dieser Entwicklung zu warnen, ist Aufgabe des Verfassungsschutzes. Ihr entgegenzutreten, ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die alle angeht.“

Zu den Phänomenbereichen im Einzelnen:

Anstieg des rechtsextremistischen Parteienspektrums

Bislang hat die Anhängerschaft des parteigebundenen Rechtsextremismus den kleinsten Teil der rechtsextremistischen Szene ausgemacht. Seit der Einstufung der AfD Sachsen-Anhalt als rechtsextremistische Bestrebung übersteigt das Personenpotenzial des parteigebundenen Rechtsextremismus das Personenpotenzial des parteiungebundenen und weitgehend unstrukturierten Rechtsextremismus jedoch deutlich. Im Jahr 2023 waren in Sachsen-Anhalt insgesamt 2.345 Personen (2022: 190) in rechtsextremistischen Parteien organisiert: in den Landesverbänden Sachsen-Anhalt der AfD (2.210 Personen;

2022: -*) und der Partei „Die Heimat“ (ehemals NPD) (70 Personen; 2022: < 100) sowie in sogenannten „Stützpunkten“ bzw. „Abteilungen“ der Kleinstparteien „Der III. Weg“ (60 Personen; 2022: 45) und „Neue Stärke Partei“ (NSP) (5 Personen; 2022: 30). Die einzige „Abteilung“ der NSP in Sachsen-Anhalt („Neue Stärke Magdeburg“) hat sich im Februar 2023 aufgelöst. Während „Die Heimat“, „Der III. Weg“ und die NSP eine neonazistische Programmatik vertreten, ist die AfD Sachsen-Anhalt ideologisch der „Neuen Rechten“ zuzurechnen. Vertreter der AfD Sachsen-Anhalt haben mitunter allerdings Verbindungen auch in die neonazistische Szene.

Während das Personenpotenzial des parteiungebundenen, vornehmlich neonazistisch geprägten Rechtsextremismus konstant geblieben ist (250 Personen; 2022: 255), hat sich der bereits im Vorjahresbericht konstatierte Bedeutungszuwachs des weitgehend unstrukturierten Teils der rechtsextremistischen Szene im Jahr 2023 fortgesetzt. Das Personenpotenzial dieses Spektrums, dessen Anhänger gar nicht oder nur lose in örtlich aktiven Strukturen organisiert sind, stieg auf 970 Personen (2022: 900) an.

(* Im Verfassungsschutzbericht 2022 fand der Landesverband Sachsen-Anhalt der AfD keine Erwähnung und deshalb wurde auch dessen Personenpotenzial nicht aufgeführt.)

Zahl der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ erneut angestiegen

Die Zahl der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ in Sachsen-Anhalt ist zum dritten Mal in Folge angestiegen. Der Verfassungsschutz rechnete diesem Phänomenbereich im Jahr 2023 rund 700 Personen (2022: 650) zu. Ein Drittel von ihnen ist in Gruppierungen wie „Königreich Deutschland“ (KRD) oder „Vaterländischer Hilfsdienst“ (VHD) aktiv. Bei den übrigen Szeneangehörigen handelt es sich in der Regel um Einzelpersonen.

Schwindende Mobilisierungsfähigkeit im Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“

Das Mobilisierungspotenzial der extremistischen Akteure aus dem Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ hat im Jahr 2023 weiter abgenommen. Seit dem Auslaufen der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie stoßen die Versammlungen dieser Szene kaum noch auf Resonanz. Der Verfassungsschutz ordnet diesem Phänomenbereich Gruppierungen zu, die das politische System der Bundesrepublik Deutschland sowie dessen Repräsentanten verächtlich machen und Verschwörungsnarrative verbreiten, hierbei jedoch keine eindeutig rechtsextremistische oder „Reichsbürger“-typische Ideologie propagieren. In Sachsen-Anhalt umfasst das Personenpotenzial dieses Phänomenbereichs rund 100 Personen. Neben der „Bewegung Halle“ sowie den Internetpräsenzen und Social Media-Kanälen von „Mitteldeutschland TV“ ist der Verein „Bernburg steht auf e. V.“ dem Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ zuzurechnen.

Jochen Hollmann, Leiter des Verfassungsschutzes Sachsen-Anhalt: „75 Jahre nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes und 35 Jahre nach der Friedlichen Revolution ist die Demokratie im Land Sachsen-Anhalt stärker bedroht als je zuvor, von innen wie auch von außen. Der Rechtsextremismus befindet sich im Aufwind, er ist im parlamentarischen Raum und in den kommunalen Vertretungen angekommen. Insbesondere der rechtsextremistischen AfD Sachsen-Anhalt ist es zuletzt gelungen, aktuelle Krisen und Konflikte für die Verbreitung ihrer fremdenfeindlichen Parolen zu instrumentalisieren und ihre Anhängerschaft auf diese Weise zu vergrößern. Aber auch in anderen Phänomenbereichen des Extremismus sehen wir eine erhebliche Radikalisierungsdynamik, die besonders im Zusammenhang mit aktuellen Konflikten sichtbar wird. Hier ist insbesondere die israelfeindliche und häufig antisemitische Agitation von Linksextremisten, Islamisten und Rechtsextremisten infolge des Terrorangriffs der HAMAS auf Israel vom 7. Oktober 2023 zu nennen. Auch mit den zunehmenden Spionageaktivitäten fremder Staaten, die von Desinformationskampagnen über Cyberangriffe reichen, muss sich der Verfassungsschutz verstärkt auseinandersetzen, um zu verhindern, dass die Gegner unserer Demokratie ihre Ziele erreichen.“

Linksextremismus: Zuwachs im nicht gewaltorientierten Spektrum

Das linksextremistische Personenpotenzial in Sachsen-Anhalt ist im Jahr 2023 angestiegen. Insgesamt hat der Verfassungsschutz 680 Personen der linksextremistischen Szene zugerechnet, dies entspricht einem Zuwachs von 13 Prozent (80 Personen) gegenüber dem Vorjahr. Dieser Anstieg ist auf eine relativ dynamische Entwicklung im nicht gewaltorientierten Spektrum des Linksextremismus zurückzuführen. Im gewaltorientierten Spektrum des Linksextremismus lag das Personenpotenzial unverändert bei 295 Personen.

Im vierten Quartal des Jahres 2023 bildete der aktuelle Nahostkonflikt einen Schwerpunkt linksextremistischer Propaganda. Die beiden Zentren des gewaltorientierten Linksextremismus in Sachsen-Anhalt stehen sich mit Magdeburg und Halle (Saale) nicht nur geographisch, sondern auch ideologisch gegenüber: Während die antiimperialistische Szene Magdeburgs für eine bedingungslose Solidarität mit den Palästinensern warb und hierbei auch vor antisemitischen Äußerungen sowie einer offenen Glorifizierung der Terrororganisation HAMAS nicht zurückschreckte, stellte sich die „antideutsch“ bzw. ideologiekritisch geprägte Szene in Halle (Saale) demonstrativ an die Seite Israels.

Konstantes Personenpotenzial in den Phänomenbereichen Islamismus und Auslandsbezogener Extremismus

Das islamistische Personenpotenzial lag im Jahr 2023 unverändert bei rund 400 Personen. Davon werden rund 105 Personen (2022: 100) dem Salafismus zugerechnet. Auch innerhalb der islamistischen Szene Sachsen-Anhalts kam es infolge des HAMAS-Angriffs auf Israel am 7. Oktober 2023 zu zahlreichen Äußerungen von Israelfeindlichkeit und von Antisemitismus. Die häufigste Art der Äußerung war die Verbreitung von gewaltverherrlichendem und volksverhetzendem antiisraelischem Propagandamaterial. Das islamistisch-terroristische Personenpotenzial liegt in Sachsen-Anhalt im mittleren zweistelligen Bereich. Die Gefahr für jihadistisch motivierte Gewalttaten ist nach wie vor hoch.

Neben dem Islamismus hat der Verfassungsschutz auch den sogenannten auslandsbezogenen Extremismus im Blick. Wie schon in den Vorjahren war die „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) auch im Jahr 2023 die einzige ausländische extremistische Organisation, die in Sachsen-Anhalt über relevante Strukturen verfügt. Das Personenpotenzial liegt seit 2016 konstant bei etwa 250 Anhängern.

Sicherheitsrisiken durch russische Desinformationskampagnen bestehen fort

Sogenannte hybride Bedrohungen durch Desinformationskampagnen, Spionage und Cyberangriffe haben gegenüber dem Jahr 2022 weiter zugenommen. Vor dem Hintergrund des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen die Ukraine versuchen derzeit insbesondere russische Nachrichtendienste und Medien, gezielt Propaganda und Desinformationen zu verbreiten, um Deutschland und Europa zu destabilisieren. Dazu werden Informationen über Umstände und Hintergründe zu eigenen Gunsten verzerrt, von rechtswidrigen und autokratischen Motivationen abgelenkt und über die Konstruktion von Bedrohungsszenarien Ängste und Verunsicherung in der Bevölkerung sowie Misstrauen in das demokratische System befördert.

Eine zunehmende Gefahr für staatliche Stellen und Unternehmen in Sachsen-Anhalt geht zudem von russischen und chinesischen Spionageaktivitäten aus. Der beim Verfassungsschutz angesiedelte Wirtschaftsschutz berät die in Sachsen-Anhalt ansässigen Unternehmen, wie sie sich effektiv gegen solche Spionageangriffe und Ausspähversuche schützen können.

Hintergrund

Der Verfassungsschutzbericht ist Teil der Extremismusprävention und Ausdruck der Arbeit und des gesetzlichen Auftrags des Verfassungsschutzes als Informationsdienstleister und Frühwarnsystem. Nach § 15 Abs. 2 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt (VerfSchG-LSA) hat das Ministerium für Inneres und Sport als Verfassungsschutzbehörde unter anderem die Öffentlichkeit periodisch über seine Aufgabenfelder und entsprechende verfassungsfeindliche Bestrebungen und Tätigkeiten nach § 4 Abs. 1 VerfSchG-LSA zu unterrichten. Der Bericht richtet sich sowohl an die Landesregierung und den Landtag von Sachsen-Anhalt als auch an die Bürgerinnen und Bürger im Land. Er gibt einen Überblick über das Potenzial der verfassungsfeindlichen Bestrebungen in Sachsen-Anhalt. Zudem sind hier Prognosen zu den Entwicklungen in den einzelnen extremistischen Phänomenbereichen zu finden.

Der komplette Verfassungsschutzbericht 2023 und die Berichte der Vorjahre sind im Internet abrufbar unter: lsaurl.de/VSB2023

 

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